Dies ist ein eher theoretischer Eintrag, nur dass auch Alle gewarnt sind.
Die moderne Fechtpraxis, zumindest was das historische Fechten angeht, stellt ihr Wissen auf mindestens zwei Pfeiler.
Erstens gibt es da die empirische Evidenz (sprich: den Beweis) der sportlichen Praxis selbst. Diese besteht aus der Erfahrung, die sich aus dem trainieren selbst ergibt. Ein Beispiel dafür wäre die Prinzipien von Stärke und Schwäche der Klinge. Alle können dies ohne Probleme testen und erfahren, wenn man Trainingswaffen aneinander drückt. Das Medium über wir also zu einem Beweis kommen ist unser eigener Körper.
Zweitens gibt es die historische Evidenz die aus den Quellen hervorgeht. Diese ist etwas komplexer strukturiert, da sie aus dem Erfahrungsschatz von Menschen hervorgeht und hauptsächlich durch das Medium der Sprache erhalten ist. Meist nimmt eine historische Quelle die Form von Anweisungen an. Was diesen Anweisungen jedoch leider allzu oft fehlt, ist ihr gesellschaftlicher und auch materieller Kontext: Sollen die Techniken im Sport wie auch im Ernstfall angewendet werden? Sind die Übungen eher didaktischer Natur oder einfach die effizienteste Art, jemandem den Kopf aufzuspiessen? Funktioniert das ganze auch mit scharfen Schwertern gegen Leute, gegen welche man das allererste Mal kämpft? Spielen Gesetze, Ehre oder gar die Religion eine Rolle?
Manche dieser Fragen lassen sich ohne weiteres durch die heutige Praxis beantworten, andere jedoch nicht. Wenn wir nun historischen Schwertkampf betreiben, müssen wir uns zugestehen, dass wir ein grosses Defizit an Wissen aufweisen. Doch bedeutet dieses Defizit, dass wir dazu verdammt sind, unwissend zu sein? Ist HEMA letzten Endes ein Produkt der Fantasie?
Ich glaube, dass die Antwort auf diese Fragen ein klares Jein ist! ;-)
Der Grund dafür ist, dass man das was man gemeinhin als Fantasie bezeichnet ausdifferenzieren kann. Es gibt Fantasien, welche klar von dem Wissen absehen, welches wir bereits haben. Wenn man sich zum Beispiel Regenbogen-kackende Einhörner vorstellt, hat das wenig damit zu tun, was es wirklich gibt. Die Vorstellung solcher Dinge wie Einhörnern, Drachen und Magie sind selten im Bereich des Möglichen. Es gibt aber Vorstellungen, die zwar "nur" in unserem Kopf sind, jedoch im Bereich des möglichen sind. Ein Beispiel dafür wäre, wie es wohl sein mag, mit scharfen Schwertern um sein Leben zu kämpfen.
Ich denke, dass man dies nicht unbedingt getan haben muss, um ein solides Wissen darüber zu haben, wie es denn wirklich ist. Denn jede Erfahrung ist aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt. Wenn man nun die Teile einzeln betrachtet und experimentell zueinander in Beziehung bringt, kann man sich der unbekannten Realität annähern. Um ein Beispiel zu bringen: Es gibt Leute, die mit scharfen Schwertern gefochten haben. Es gibt auch Leute, die mit stumpfen Schwertern so gefochten haben, als ginge es um ihr Leben. Ebenso gibt es Leute die ihr Leben tatsächlich verteidigen mussten. Wenn wir also wissen, wie es ist mit scharfen Waffen zu kämpfen, wo unsere physischen Grenzen liegen und wie es sich anfühlt in einem Lebensbedrohlichen Kampf zu sein, haben wir (so denke ich) eine sehr gute Vorstellung dessen, wie es ist mit scharfen Schwertern um sein Leben zu kämpfen.
Selbstverständlich kann man gegen diese Argumente einwenden, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, bzw. dass dieses Vorgehen sich der Gesamterfahrung zwar annähern, sich aber nicht mit ihr decken kann. Dem stimme ich auch zu. Aber gleichzeitig glaube ich nicht, dass dieser Einwand in der Praxis Sinn ergibt. Der Grund, wieso ich dieses Gegenargument als schwach betrachte, ist weil es davon ausgeht, dass es eine Erfahrung gibt, die den Sachverhalt perfekt beschreibt. Mein Gegen-gegen-Argument wäre, dass selbst jemand, der oder die mal oder gar oft ihr Leben mit scharfen Schwertern verteidigen musste, nicht weiss, wie dieselbe Erfahrung in der Zukunft oder für andere Menschen sein mag. Erfahrung ist immer limitiert auf die spezifischen Umstände, die sie ausgemacht haben. Und daher ist sie ebenso unscharf, wie es eine sehr gute Simulation sein kann.
Dies lässt jedoch offen, was denn eine sehr gute Simulation ausmacht. Auf diese Frage habe ich keine eindeutige Antwort, aber eine ungefähre Vorstellung. Eine solche Simulation hält sich, da wo sie es kann, an die etablierten Sachverhalte ohne einem Dogmatismus zu verfallen. Sie ist offen für neue Information und strebt ständig nach Verbesserung. Kurz gesagt, ist sie wissenschaftlich.
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